C. von Werdt: 200 Jahre Burgerliche Ersparniskasse - Opposition, Patriotismus und eine wohltätige Anstalt in Bern um 1820

Cover
Titel
Die «Missvergnügten» von Bern. Opposition, Patriotismus und eine wohltätige Anstalt in Bern um 1820. 200 Jahre Burgerliche Ersparniskasse


Autor(en)
Von Werdt, Christophe
Erschienen
Bern 2020: Burgerliche Ersparniskasse
Anzahl Seiten
216 S.
von
Christophe Zürcher

Wenn eine Bank ihr 200-Jahr-Jubiläum begeht, gibt sie üblicherweise einen stattlichen, mindestens 2 kg schweren Grossband mit vielen überflüssigen Bildern heraus. Nicht so die Burgerliche Ersparniskasse Bern. Sie schenkte ihren Genossenschaftern – richtig: Genossenschaftern – einen kleinen, gediegenen Band (16,5 auf 10,5 cm und 216 Seiten) zum Geburtstag. Ein Taschenbuch, geeignet als gemütliche Bettlektüre, als Begleiter auf einer Ferienreise, kurz, ein Buch, das man bequem lesen kann. Und die Lektüre lohnt sich.

Die Burgerliche Ersparniskasse ist nämlich keine gewöhnliche Bank, sie ist eine «wohltätige Anstalt». Ihre Entstehung hängt mit der politischen und gesellschaftlichen Lage in Europa um 1820 zusammen. Damals formierte sich der Widerstand gegen die Restauration, welche die Errungenschaften der Französischen Revolution rückgängig machte. In Bern sammelten sich diese «Missvergnügten» 1816 im «Burgerleist», der sich als Opposition zum 1815 wieder an die Macht gelangten Patriziat etablierte. Man forderte einerseits die in der Helvetik erlangten Individualrechte ein, setzte aber auch die Tradition der auf Gemeinnützigkeit ausgerichteten Ökonomischen Gesellschaft fort und arbeitete auf die Stärkung eines bernischen und schweizerischen Nationalbewusstseins hin. Prominente Mitglieder waren David Ludwig Bay, ehemals Mitglied des helvetischen Direktoriums, Bernhard Ludwig Fetscherin, Vorsteher des burgerlichen Waisenhauses, Samuel Lutz, Theologieprofessor, Johann Rudolf Wyss der Jüngere und Albert Bitzius. Aus diesen Kreisen wurde am 5. April 1820 die Burgerliche Ersparniskasse gegründet. Ihre Zielsetzung: «Willst du, dass dir geholfen werde, so hilf dir selbst, und erwarte nicht erst von Andern, was du für dich selbst thun sollst, weil du es thun kannst!» (S.119) Die Kasse war also eine Selbsthilfeorganisation. So wie der Mensch nach Kant durch die Aufklärung aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit heraustreten soll, so soll er sich durch Fleiss, Anstrengung und Sparsamkeit aus Armut befreien können. Die Sparkassenidee ist also genuin aufklärerisch. Ihr verhalfen die aufgeklärten patriotischen Gesellschaften, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in ganz Europa entstanden und sich miteinander vernetzten, zum Durchbruch.

Eine erste solche Kasse entstand 1778 in Hamburg. Die Berner Kasse scheint die zweite gewesen zu sein. Danach verbreitete sich das Sparkassenwesen in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts europaweit.

Der historischen und gesellschaftlich-philosophischen Verortung der Berner Kassengründung sind die beiden ersten Kapital des Buches gewidmet. Das dritte Kapitel befasst sich mit der Organisation und dem Funktionieren der Burgerlichen Ersparniskasse. Träger dieses Genossenschaftsbankmodells waren die burgerlichen Zünfte, die ja zuständig für die Armenfürsorge ihrer Angehörigen waren und sind. Direktion und Verwaltung waren ehrenamtlich tätig. Die wichtigste Kundengruppe bildeten in den Anfangszeiten die Kleinsparer aus der unteren burgerlichen Mittelschicht.

Im letzten Kapitel geht der Autor, fussend auf den Schriften von Charles Taylor, den verschiedenen Facetten des Freiheitsbegriffs nach, der letztlich Triebkraft der Gründung der Burgerlichen Ersparniskasse war. Diese Ausführungen münden in ein eindrückliches Plädoyer für Selbstverantwortung und Freiheit. «Die Ersparniskasse ist mit ihrer Freiwilligkeit und als Aufruf zur emanzipierten, vorsorgenden Vernunft schon ihrer institutionellen Grundlage nach eine autonome, freiheitliche Wahlmöglichkeit.» (S. 121)

So lässt man sich als Leserin und Leser ein Bankenjubiläum gerne gefallen. Schade nur, dass die interessante Schrift nicht im Buchhandel erhältlich ist. Vielleicht hat die Burgerliche Ersparniskasse noch einige Exemplare zum Abgeben.

Beizufügen ist noch, dass das ausführliche Quellen- und Literaturverzeichnis (S. 189 – 203) keine Wünsche offenlässt, was auch für die sehr anregende Bebilderung gilt. Die «Grund-Gesetze der zinstragenden burgerlichen Ersparniß-Casse in Bern» sind als Faksimile in extenso abgedruckt (S.137–185). Die finanziellen Kennzahlen der Burgerlichen Ersparniskasse von 1820 bis 2019 zeigen eindrücklich Erfolg und Richtigkeit des Konzepts.

Zitierweise:
Zürcher, Christophe: Rezension zu: Von Werdt, Christophe: Die «Missvergnügten» von Bern. Opposition, Patriotismus und eine wohltätige Anstalt in Bern um 1820. 200 Jahre Burgerliche Ersparniskasse. Bern: Burgerliche Ersparniskasse 2020. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 3, 2022, S. 61-62.

Redaktion
Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 84 Nr. 3, 2022, S. 61-62.

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